Die Chronologie
Eine Chronologie der 107 Sinfonien
Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, in das sinfonische Schaffen Joseph Haydns eine chronologische Ordnung zu bringen. Wie wir im Anschluss gleich sehen werden, ist dieses Unterfangen zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Der Grund liegt in der mangelnden Kenntnis des Lebens Haydns vor 1800. Es fällt auch daher schwer, da Haydn erst gegen Ende seines Lebens das nötige Interesse hinsichtlich biographischer Versuche auf sich zog. Seine großen Biographen, der Maler Albert Christoph Dies und der sächsische Diplomat Georg August Griesinger, lernten Haydn erst in seinem letzten Lebensabschnitt kennen, teilweise, wie - im Fall Dies’ - zu einem Zeitpunkt, als Haydn dem Komponieren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr nachgehen konnte. Griesinger lernte Haydn 1799 kennen. Nicht zu vergessen ist auch, dass das Anwesen Esterház zur Zeit Haydns in Ungarn lag, sich daher den „wienerischen“ Blicken entzog1. Aus all diesen Gründen ergibt sich leider ein eher lückenhaftes Haydnbild, zumindest vor 1800.
Die früheste der chronologischen Kategorisierungen der Sinfonien unternahm Carl Ferdinand Pohl. Auch wenn bei ihm mehr die Qualität den Ausschlag für eine Einteilung gab, so sollte diese auf gar keinen Fall vernachlässigt werden. Nach Pohl lassen sich die Sinfonien in „zwei Abtheilungen“ und „fünf Gruppen“ aufgliedern,
„in solche die 1. an sich klein, aber hübsch sind; 2. in denen einzelne Sätze der Beachtung werth sind; 3. die in ihrer Totalität interessant oder bedeutender sind; 4. in die besonders hervorragenden und 5. in die reifsten und vorzüglichsten.“2
In weiterer Folge teilte er seine ihm bekannte Zahl an Haydn Sinfonien den jeweiligen Gruppen zu. So weit wollen wir aber nicht gehen.
1908 erstellte Eusebius Mandyczewski für Breitkopf & Härtel eine weitgehend nach ante quem geordnete Sinfonienliste. 104 Sinfonien wurden dort aufgelistet. 1957 wurde diese Liste von Anthony van Hoboken in sein thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis als Gruppe I übernommen und mit vier Werken erweitert: Der „Concertante“ von 1792 (später Hob. I:105), einer damals noch verschollenen Ouvertüre (später Hob. I:106) und zwei frühen Sinfonien (später Hob. I:107 und 108, H. C. Robbins Landon bezeichnete diese als „A“ und „B“).
Somit war die Anzahl der Sinfonien fixiert. Schwer hatten es hingegen immer die erst später wiederentdeckten frühen Sinfonien Hob.I: 107 und 108, die chronologisch gesehen die Sinfonien Nr. 11 und Nr. 24 sind. So begann man die beiden Sinfonien zu ignorieren und stoppte die Zählung bei Haydns tatsächlich letzter Sinfonie, der Sinfonie Hob.I:104 aus dem Jahre 1795. Gerade dieser besondere Fall zeigt anschaulich das gravierende Problem einer falschen Ordnung innerhalb der Sinfonien Joseph Haydns. Sinfonien mit hohen Hoboken-Nummern scheinen bisweilen „unreif“ im Vergleich zu den direkten Vorgänger- und Nachfolgersinfonien und niedere Hoboken-Nummern wieder vollkommen deplatziert. Denn die Auflistung nach Hoboken stimmt nur in den seltensten Fällen tatsächlich mit Chronologie, also mit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung, überein. Man kann sich ausmalen, was das für Folgen hatte – ähnlich wie bei den Opern. Eine falsche Einschätzung des Gesamt-Oeuvres war die Folge. Lediglich bei den Sinfonien, bei denen man „sicher“ sein konnte, wie bei den „Pariser“- bzw. den Londoner-Sinfonien, zeigte man Konsequenz, was auch darin gipfelte, dass Haydn nach wie vor 104 anstatt der 107 Sinfonien komponierte. Um Verwirrungen zu vermeiden führt diese Homepage beide Zählweisen an.
Nachdem nun die Anzahl der Sinfonien mehr oder weniger tatsächlich fixiert war, unternahmen namhafte Wissenschaftler diverse Versuche, eine Ordnung in dieses Oeuvre zu bringen. Prinzipiell lassen sich die Sinfonien Joseph Haydns grob in 3 Phasen gliedern: Die Phase vor Esterház, jener am Hofe der Esterházys und jener danach. Natürlich wird das dem sinfonischen Schaffen Joseph Haydns nicht gerecht und so unternahmen namhafte Wissenschaftler Versuche.
Jens Peter Larsen etwa hat 1950 und 1956 eine Einteilung der künstlerischen Entwicklung in sieben Perioden vorgenommen. Seine letzte Anordnung stellt sich wie folgt dar:
- „bis ca. 1761 Wien
- 1761 bis 1766 Eisenstadt
- 1766 bis 1775 Esterház, Jahre der Expansion
- ca. 1775 bis 1784 Operntätigkeit
- 1785 bis 1790 auswärtige Aufträge
- 1791 bis 1795 London
- 1795 bis 1809 Wien“3
Sonja Gerlach wiederum spricht besonders im Hinblick auf die Orchestergrößen und Besetzungen von drei Schaffensperioden: Von ca. 1757 bis 1774, von ca. 1775 bis 1790 und von 1791 bis 17954.
Die wohl genaueste Einteilung nahm James Webster 1990 anlässlich der Gesamteinspielung der Sinfonien Joseph Haydns durch die „Academy of ancient music“ unter der Leitung von Christopher Hogwood vor5. 15 Perioden umfasste Websters Einteilung und 15 Teile sollte auch die Einspielung haben. Leider sind nur 10 umgesetzt worden.
- „Sinfonien für Grafen Morzin ca. 1757 bis 1760. Sinfonien mit den Nummern 1, 2, 4, 5, 10, 11, 18, 27, 32, 37 und 107 oder „A“6
- Von Wien nach Esterház ca. 1760 bis 1763: Sinfonien mit den Nummern 3, 14, 15, 17, 19, 20, 25, 33, 36 und 108 oder auch „B“
- Frühe Esterház-Sinfonien ca. 1761 bis 1763: Sinfonien mit den Nummern 6, 7, 8, 9, 12, 13, 16, 40 und 72
- 1764 bis 1765: Sinfonien mit den Nummern 21, 22, 23, 24, 28, 29, 30, 31 und 34
-
Festliche Sinfonien ca. 1765 bis 1768: Sinfonien mit den Nummern 35, 38, 39, 41, 58,
59 und 65 -
Früher „Sturm und Drang“ ca. 1768 bis 1771: Sinfonien mit den Nummern 26, 42, 43, 44,
48 und 49 -
Höhepunkt „Sturm und Drang“ ca. 1772: Sinfonien mit den Nummern 45, 46, 47, 51,
52 und 64 - 1773 bis 1777: Sinfonien mit den Nummern 50, 54 (1. Version), 55, 56, 57 und 60. Von vielen wird diese Phase als Haydns „schwächste“ Zeit bezeichnet, als eine Art „stilistische“ Wende mit Werken geringen Gehalts.
-
Bühnen- und volkstümliche Sinfonien ca. 1774 bis 1777: Sinfonien mit den Nummern 53,
54 (2. Version), 61, 66, 67, 68 und 69 -
Festliche ernste Sinfonien ca. 1778 bis 1781: Sinfonien mit den Nummern 62, 63, 70, 71, 73,
74 und 75 - Erste zur Publikation vorgesehene Sinfonien 1782 bis 1784: Sinfonien mit den Nummern 76, 77, 78, 79, 80 und 81
- Die „Pariser“ Sinfonien: Sinfonien mit den Nummern 82, 83, 84, 85, 86 und 87
-
Apotheose der Kammer-Sinfonie 1787 bis 1789: Sinfonien mit den Nummern 88, 89, 90,
91 und 92 - Erste London-Reise 1791 bis 1792: Sinfonien mit den Nummern 93, 94, 95, 96, 97 und 98
-
Zweite London-Reise 1793 bis 1795:Sinfonien mit den Nummern 99, 100, 101, 102,
103, 104“7
Ich möchte bei meiner Periodisierung James Webster folgen, jedoch kleine Änderungen und Anpassungen vornehmen, da sich in der Haydn-Forschung hinsichtlich der Sinfonien nach 1990 doch noch einiges getan hat. Insbesondere der überaus wichtigen Arbeit von Josef PRATL aus dem Jahre 2009 ist es zu verdanken, dass sich auf dem Gebiet der Haydn-Sinfonien-Forschung (auch der Haydn-Opern-Forschung) fundamentale neue Erkenntnisse ergeben haben.
Dazu: Josef PRATL und Heribert SCHECK: Esterházysche Musik-Dokumente. Die Musikdokumente in den Esterházyschen Archiven und Sammlungen in Forchtenstein und Budapest aus dem Jahre 2009.
- Sinfonien für den Grafen Morzin 1757 bis 1761: Sinfonien Hob.I:1, 37, 18, 2, 4, 27, 10, 20, 17, 19, 107, 25, 11, 5, 32, 15 und 3.
- Erste Esterház-Sinfonien 1761 bis 1763; „Die Tageszeiten“ und weitere einzigartige Kreationen: Sinfonien Hob.I:6, 7, 8, 36, 33, 9, 108, 14, 40, 12 und 16.
- 1763 bis 1765; Die „4 Vierhorn-Sinfonien“ und weitere einzigartige Kreationen: Sinfonien Hob.I:34, 72, 13, 23, 22, 21, 24, 30, 31, 39, 29 und 28.
- Mittlere Esterház-Sinfonien 1767 bis 1773; „Sturm und Drang“ und die „Ruhe“ danach: Sinfonien Hob.I:38, 58, 35, 59, 49, 26, 41, 65, 48, 44, 43, 52, 42, 47, 45, 46, 51, 64, 50, 55, 54, 60, 56 und 57.
- Späte Esterház-Sinfonien 1774 bis 1781; Die Zeit der „Opern-Sinfonien“: Sinfonien Hob.I:68, 67, 69, 66, 61, 53, 71, 70, 75, 63, 74, 62 und 73.
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Erste Sinfonien für ein „neues“ Publikum 1782 bis 1784: Sinfonien Hob.I:76, 77, 78, 81,
80 und 79. - Die „6 Pariser“ Sinfonien 1785 und 1786: Sinfonien Hob.I:87, 85, 83, 84, 86 und 82.
- Apotheose der Kammer-Sinfonie 1787 bis 1789; „Johann Tost“ und „Paris“: Sinfonien Hob.I:89, 88, 90, 91 und 92.
- Erste London-Reise 1791 bis 1792: Sinfonien Hob.I:96, 95, 93, 98, 105, 94 und 97.
- Zweite London-Reise 1793 bis 1795: Sinfonien Hob.I:99, 101, 100, 102, 103 und 104.
Dr. Michael Fendre