64
"Tempora mutantur"
A-Dur
Sinfonien um 1770-1774
Herausgeber: Andreas Friesenhagen und Ulrich Wilker; Reihe I, Band 5b; 2013, G. Henle Verlag München
Hob.I:64 Symphonie in A-Dur ("Tempora mutantur")
Dieses Werk meidet das Extrem und zeichnet sich — bis auf den langsamen Satz — durch Witz und Esprit aus. Das anfängliche Allegro con spirito beginnt ruhig mit einer lyrischen Melodie für Streicher, zu der sich dann überraschend ein kontrastierendes Fortemotiv für das gesamte Orchester gesellt. Die Fortspinnung variiert diese Kontraste ganz neuartig, und allmählich erkennt man, dass sich der ganze Satz durch Witz, Phantasie und unerwartete Kontraste in Bezug auf Material, Dynamik, Instrumentierung und harmonische Richtung auszeichnet.
Ein ganz anderer Kontrast wird durch das Largo geschaffen, das zu Recht als der exzentrischste Satz, den Haydn je komponiert hat, gilt. Wahrscheinlich bezieht sich der rätselhafte Beiname der Symphonie "Tempora mutantur etc.", der auf dem Umschlag eines authentischen Stimmenkonvoluts (heute in Frankfurt befindlich) angegeben ist, auf dieses Largo. Dieser lateinische Zusatz spielt sicherlich auf das moralisierende Epigramm des elisabethanischen Dichters John Owen an, das auch im 18. Jahrhundert noch bekannt war:
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis:
Quomode? Fit semper tempore peior homo.
(Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen.
Wie? So wie die Zeiten schlechter werden, so auch der Mensch.)
Über diesen außergewöhnlichen Symphoniesatz könnte man einen ganzen Artikel schreiben. Ich erwähne hier nur die Unfähigkeit, musikalische Phrasen richtig zu vollenden, und seine Diskontinuität hinsichtlich Material, Dynamik und Register, die Verweigerung, eine klar verständliche Form zu erzielen und vor allem sein absichtlich seltsamer und fast unzusammenhängender Schluss.
Das folgende Menuett muss schon deshalb in diesem Kontext "normal" klingen. Es ist auch normal (insofern dies irgendein Haydn-Menuett sein kann): das eigenartige registerhafte Spiel, punktierte Motive und die Pianowiederkehr der ersten Phrase als Schlussstrophe sind ganz typisch für ihn. Allerdings trifft dies überhaupt nicht auf die Art und Weise zu, wie im Trio das Zwischenspiel in Moll mit einer "verschleierten" Rückkehr des Anfangsthemas fest miteinander verzahnt wird.
Das Finale, ein unregelmäßiges Rondo, nimmt wieder exzentrische Züge an. Das Hauptthema besteht aus zwei Teilen (a und b), die wiederum jeweils zwei Phrasen (von sechs Takten in a) umfassen. Jede Phrase (insgesamt acht, einschließlich der Wiederholungen) endet mit einem merkwürdigen, unbegleiteten Nachschlag. Dann entwickelt sich Thema b in eine zweite Gruppe in der Dominante E-Dur. Dies bricht plötzlich ab für Thema a, ebenso plötzlich wandelt es sich in ein neues "raketenähnliches" Thema in Moll (c) und noch überraschender wechselt es in die Tonika des gesamten Themenkomplexes a+b zurück. Als dieser gerade endet, stößt es noch abrupter mit einem neuen und längeren Zwischenspiel, das auf Motiv c basiert und in fis-Moll beginnt, zusammen, und genauso geschickt wie zuvor kehrt es schließlich zu Motiv a zurück. Dieses wendet sich jetzt in seine eigene Molltonart (a-Moll) und spiegelt sogar einen Scheinkontrapunkt vor, ehe es zum allerletzten Mal zu a+b und einer verspielten Coda zurückkehrt, in der Haydn beweist, dass selbst "das allerletzte Mal" eine Illusion sein kann.
©James Webster
Analyse

Analyse der Sätze




Musiker

Musiker
Anders als etwa bei den Opern lassen sich bei den Sinfonien, auf Grund ihrer unklaren zeitlichen Zuordnung, vollständige Besetzungs- bzw. Namenslisten der Orchestermusiker nicht anführen. Und es ist überhaupt nur bei einer der drei „Sinfonie-Schaffens-Phasen“ möglich, nämlich der mittleren Phase, jener am Hofe der Esterházys (1761-1781 letzte Sinfonie für das Esterház-Publikum) respektive 1790). Bei der ersten Phase, im Dienste des Grafen Morzin, also vor Esterházy (1757-1761) und der dritten Phase, jener danach (1782-1795) ist es überhaupt nicht möglich. Im Übrigen lässt sich die dritte Phase wiederum in drei Abschnitte gliedern: Jenen, in dem Haydn erstmals für ein „anderes“ Publikum als seines am Hofe Esterház komponierte (1782-1784), den Pariser Sinfonien (1785-1786) und den Londoner Sinfonien bis (1791-1795).
Namens- bzw. Gehaltslisten – und aus jenen wurde die Orchesterbesetzung „extrahiert“ - existieren also nur aus der Schaffensphase im Dienst der beiden Fürsten Esterházy, also von 1761 bis 1782.
Daher werden „nur“ jene Musiker angeführt, die im Dienste der beiden Fürsten Esterházy standen und mit Sicherheit über einen längeren Zeitraum in Haydns Orchester wirkten, quasi ein „All-Time – All-Stars-Orchester“. Ich behielt bei den betreffenden Musikern die Jahreszahl „-1790“ bei, da mit Sicherheit Haydn auch nach 1782 seine Sinfonien am Hofe zu Gehör brachte.
Flöte | Franz Sigl 1761-1773 |
Flöte | Zacharias Hirsch 1777-1790 |
Oboe | Michael Kapfer 1761-1769 |
Oboe | Georg Kapfer 1761-1770 |
Oboe | Anton Mayer 1782-1790 |
Oboe | Joseph Czerwenka 1784-1790 |
Fagott | Johann Hinterberger 1761-1777 |
Fagott | Franz Czerwenka 1784-1790 |
Fagott | Joseph Steiner 1781-1790 |
Horn (spielte Violine) | Franz Pauer 1770-1790 |
Horn (spielte Violine) | Joseph Oliva 1770-1790 |
Pauke oder Fagott | Caspar Peczival 1773-1790 |
Violine | Luigi Tomasini 1761-1790 |
Violine (Stimmführer 2. Vl) | Johann Tost 1783-1788 |
Violine | Joseph Purgsteiner 1766-1790 |
Violine | Joseph Dietzl 1766-1790 |
Violine | Vito Ungricht 1777-1790 |
Violine (meist Viola) | Christian Specht 1777-1790 |
Violoncello | Anton Kraft 1779-1790 |
Violone | Carl Schieringer 1768-1790 |
Medien

Musik
Antal Dorati
Joseph Haydn
The Symphonies
Philharmonia Hungarica
33 CDs, aufgenommen 1970 bis 1974, herausgegeben 1996 Decca (Universal)



