Joseph Haydn
Joseph Haydn
1732-1769 KINDHEIT UND JUGEND
Franz Joseph Haydn wurde am 31. März 1732 in dem kleinen niederösterreichischen Ort Rohrau nahe der ungarischen Grenze als Sohn des Wagnermeisters Mathias und dessen Gattin Anna Maria geboren. Joseph war das zweite ihrer 12 Kinder, und Michael (1737-1806), der ebenfalls Komponist wurde, war das sechste Kind. Die ersten musikalischen Eindrücke empfing der kleine Haydn vom volkstümlichen, häuslichen Musizieren seines Vaters, "ein von Natur aus großer Liebhaber der Musik". Bereits im fünften Lebensjahr wurde Joseph Haydn nach Hainburg zu einem entfernten Verwandten namens Johann Mathias Franck gebracht, der dem Knaben ersten musikalischen Unterricht erteilte.
Georg Reutter der Jüngere (1708-1772), der 1738 zum Nachfolger seines Vaters als Kapellmeister am Wiener Stephansdom berufen worden war, befand sich auf der Suche nach begabten Sängerknaben, als er vermutlich im Jahre 1739 in Hainburg beim Stadtpfarrer zu Besuch war. Bei dieser Gelegenheit ließ er sich vom jungen Haydn vorsingen und erkannte sein musikalisches Talent. Im Alter von acht Jahren wurde Haydn ins Kapellhaus bei St. Stephan in Wien als Chorknabe aufgenommen. Neben einem sehr "nothdürftigen Unterricht" in den allgemeinbildenden Fächern erhielt Haydn eine Gesangsausbildung sowie Klavier- und Violinstunden.
In unmittelbarer Nähe des Wieners Stephansdoms, zwischen einem vierstöckigen Mietshaus und der Magdalenenkapelle, befand sich das Haus des Kapellmeisters Reutter, in dem Joseph Haydn und weitere fünf Chorknaben wohnten. Wien, die Hauptstadt des großen Habsburgischen Reiches, war seit Generationen das Zentrum einer wichtigen musikalischen Tradition: am Hofe Kaiser Karl VI. erlebte die Musik mit den beiden bedeutendsten Vertretern des Spätbarock, Johann Joseph Fux (1660-1741) und Antonio Caldara (1670-1736), eine Hochblüte.
1749/50 kam das Ende von Haydns Sängerknabenzeit, da seine Stimme brach und er wegen einer Ungezogenheit aus dem Konvikt entlassen wurde.
1750-1760 LEHRJAHRE
Joseph Haydn war nach seinem Hinauswurf aus dem Kapellhaus ohne Unterkunft und Einkommen. Seine Eltern versuchten ihn erneut zu überreden, in den geistlichen Stand einzutreten, jedoch ohne Erfolg. 1751 fand er ein armseliges Dachstübchen ohne Ofen im sogenannten Michaelerhaus, das noch heute neben der St. Michaelskirche gegenüber der Hofburg steht. In den folgenden Jahren lebte Haydn vor allem vom Stundengeben und Korrepetieren. Für jährlich 60 Gulden wurde er Vorspieler bei den Barmherzigen Brüdern in der Leopoldstadt, wo er jeden Sonn- und Feiertag um acht Uhr morgens die Messe spielte. Um zehn Uhr spielte er in der gräflich Haugwitz'schen Kapelle, und um 11 Uhr sang er in der Stephanskirche für 17 Kreuzer eine Messe.
Im Michaelerhaus in Wien wohnten zwei Persönlichkeiten, die maßgeblich an Haydns künstlerischem Werdegang beteiligt waren: der Hofdichter Pietro Metastasio (1698-1782), bei dem Haydn die italienische Sprache lernte, und der Opernkomponist und Gesangslehrer Nicola Antonio Porpora (1686-1768). Haydn durfte Porporas Gesangsschüler am Klavier begleiten und war zeitweilig auch sein Kammerdiener. Er bekannte gegenüber seinem Biographen Griesinger, daß er "bey Porpora im Gesange, in der Komposition und in der italienischen Sprache sehr viel profitirte". Im ersten Stock des Michaelerhauses lebte damals die verwitwete Fürstin Maria Octavia Esterházy (1683-1762), die Mutter der Fürsten Paul Anton und Nikolaus, deren Kapellmeister Joseph Haydn später sein sollte.
Für Baron Karl Joseph von Fürnberg schrieb Haydn seine ersten Streichquartette, die sehr schnell populär wurden. Es waren die ersten Werke, die im Ausland - in Paris 1764 - gedruckt wurden, allerdings ohne Wissen des Komponisten. Die Aufenthalte Haydns in Weinzierl, wo Baron Fürnberg ein Schloß besaß, und die frühen Streichquartette stellen den Auftakt zu seiner Anstellung als Musikdirektor beim Grafen Morzin dar. Um 1758/59 wurde Haydn von Karl Joseph Franz Graf Morzin (1717-1783?) für jährlich 200 Gulden sowie Kost und Quartier als Kapellmeister angestellt. Unter den Kompositionen, die für Morzin geschrieben wurden, war neben Haydns erster Symphonie eine Anzahl Divertimenti für Bläser, meist für zwei Oboen, Hörner und Fagotte.
Am 26. November 1760 heiratete Haydn vermutlich aus Dankbarkeit und aufgrund der mehrjährigen Vertrautheit mit der Familie die älteste Tochter des Wiener Perückenmachers Keller, Maria Anna Aloysia (1729-1800). Haydn dürfte in die jüngste Tochter Therese verliebt gewesen sein; diese ging jedoch ins Kloster. Die Trauung mit Maria Anna fand im Wiener Stephansdom statt. Die Ehe Haydns war unglücklich: "Mein Weib war unfähig zum Kindergebären, und daher war ich auch gegen die Reize anderer Frauenzimmer weniger gleichgültig", lautet einer der wenigen Kommentare Haydns über sein Eheleben. Über Frau Haydn wissen die Biographen Griesinger und Dies nichts Gutes zu berichten: sie soll ungebildet, ohne Verständnis für ihren genialen Mann und verschwenderisch gewesen sein.
1761-1780 FRÜHE ESTERHÁZY PERIODE
Nachdem Graf Morzin in fianzielle Schwierigkeiten geraten war und er seine Musiker entlassen musste, fand Joseph Haydn beim Fürsten Esterházy schnell einen neuen Dienstherren.
Als Joseph Haydn 1761 seinen Dienst antrat, war die kleine Barockstadt Eisenstadt am Westufer des Neusiedlersees der ständige Wohnsitz der Fürsten Esterházy. Haydn bezog eine Mietwohnung, ehe er sich 1766 ein eigenes Haus in der Nähe des Franziskanerklosters kaufte. Eisenstadt hatte sich Mitte des 17. Jahrhunderts vom Kaiser Ferdinand III. als König von Ungarn die Erhebung zur königlichen Freistadt erkauft, um sich gegen die mächtige Familie Esterházy behaupten zu können.
Haydns neuer Dienstherr ab dem Jahr 1761 war Fürst Paul Anton I. Esterházy (1711-1762) in Eisenstadt, der wie seine Vorfahren musikliebend war. Die Familie Esterházy war eine der reichsten und mächtigsten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sie besaß außer ihrem Palais in Wien Schlösser in ganz Ungarn und im heutigen Burgenland. Die Fürsten Esterházy lebten königlich und regierten wie Souveräne über ihr Fürstentum. Als "Vice-Kapellmeister" des Fürsten Esterházy in Eisenstadt begann ein wichtiger Abschnitt in Haydns Leben: "...allwo ich zu leben und zu sterben mir wünsche", schrieb Haydn in einem Brief vom 6. Juli 1776. Die ersten Kompositionen waren die Symphonien "Le Matin", "Le Midi" und "Le Soir" (Hob.I:6-8).
Haydns erster Vertrag mit Fürst Paul Anton I. Esterházy stammt vom 1. Mai 1761. Als Haydn seine Tätigkeit in Eisenstadt begann, wurde er vorerst als "Vice-Kapellmeister" angestellt, da der in hohem Alter stehende und kränkliche Georg Joseph Werner (1693-1766) offiziell noch Leiter der fürstlichen Kapelle war. Haydns Kontrakt verpflichtete ihn, sich angemessen zu verhalten und zu kleiden, ferner ein Beispiel für seine ihm untergeordneten Musiker zu sein und Musik auf Verlangen des Fürsten zu komponieren. Seine Aufgaben reichten von der Pflege der Instrumente und der Archivierung des Notenmaterials bis zum Unterrichten, Komponieren und Konzertieren. Fürst Paul Anton I. Esterházy, der im Schloßpark ein Glashaus in ein Theater umgestalten ließ, starb am 18. März 1762.
Fürst Nikolaus I. Esterházy (1714-1790) trat am 17. Mai 1762 das Erbe seines Bruders Paul Anton an. Er wurde Haydns Gönner und Dienstherr für beinahe 30 Jahre. Der Beiname "Der Prachtliebende" weist darauf hin, daß er gerne Geld für große Feste und besondere Feierlichkeiten bereitstellte - der Dichter Johann Wolfgang Goethe schrieb in seiner Autobiographie vom "Esterházyschen Feenreich". In vielerlei Hinsicht war Nikolaus I. ein vorbildlicher Mäzen, und der aus einfachen Verhältnissen stammende Haydn wurde nach dem Güterregent und dem Leibarzt der drittbest bezahlte "Hausoffizier" des Fürsten Esterházy. Diese finanzielle Rangordnung zeigt die bedeutende Stellung, die Haydn einnahm und das hohe Ansehen, das Haydn genoß: "Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall (...) ich war von der Welt abgesondert (...) und so mußte ich original werden." (Griesinger)
Fürst Nikolaus I. Esterházys Lieblingsinstrument war das Baryton, das er selbst spielte, und so erwartete er von seinem Kapellmeister, dass dieser neue Musik für dieses Instrument schreibe. Das Baryton ist ein dem Cello ähnliches Instrument, das nicht nur Saiten zum Streichen, sondern auch hinter dem Griffbrett solche zum Zupfen hat. Haydn komponierte unter anderem 125 Divertimentos für Baryton, Viola und Cello, ebenso zahlreiche Solostücke, Duette und Ensemblemusik mit Soli für ein, manchmal für zwei Barytone. Nach dem Tod des Kapellmeisters Georg Joseph Werner im Jahre 1766 übernahm Haydn die volle musikalische Verantwortung.
Nachdem Joseph Haydn nun Erster Kapellmeister geworden war, kaufte er in Eisenstadt ein hübsches kleines Haus nahe dem Franziskanerkloster, das er um 1000 Gulden erwarb. Leider brachte ihm das Haus nicht viel Glück, da es zweimal abbrannte. Fürst Nikolaus I. Esterházy ließ es beide Male auf seine Kosten wieder aufbauen - ein Beweis dafür, wie sehr er seinen Kapellmeister schätzte. Haydn seinerseits "schwor dem Fürsten, ihm so lange zu dienen, bis der Tod über dessen Leben oder über sein eigenes entscheiden würde.." (Dies). 1778 verkaufte Haydn das Haus. Seit 1935 ist darin das Haydn-Museum untergebracht.
In der Nähe des südöstlichen Ufers des Neusiedlersees besaßen die Fürsten Esterházy ein kleines Jagdschloß, das nach dem nahegelegenen Ort Süttör benannt war. Fürst Nikolaus I. hatte eine besondere Vorliebe für diesen Ort und so beschloß er, dieses Gebäude in ein prächtiges Schloß, daß seit 1766 "Eszterháza" genannt wurde, zu verwandeln. Es war eine außergewöhnliche Idee, inmitten eines sumpfigen Seewinkels ein "ungarisches Versailles", dessen Anlage ein Opernhaus, ein Marionettentheater und zahlreiche Nebengebäude enthält, zu errichten - und diesen Ort zu einem Kulturzentrum zu machen, das europäischen Maßstäben gewachsen war. Seit ungefähr 1766/67 wurde Eszterháza in den Sommermonaten zum Zentrum der Tätigkeit Haydns.
Haydns erste für den Esterházyschen Hof geschriebene Oper "Acide" wurde 1763 anläßlich der Hochzeit des ältesten Sohnes des Fürsten Nikolaus in Eisenstadt aufgeführt. Nach der Übersiedlung des Hofes nach Eszterháza wandte sich Haydn mit "La canterina" (1766), "Lo speziale" (1768) und "Le pescatrici" (1769) erneut der Oper zu. Ab dem Jahr 1776 standen auf dem Spielplan des Fürsten täglich Opern- und Theateraufführungen: in der Zeit von 1780 bis 1790 leitete Haydn über 1000 Opernvorstellungen. Von den insgesamt 78 bis zum Jahr 1784 gespielten Opern stammten 15 von Joseph Haydn. Dieser umfangreiche Opernbetrieb beanspruchte Haydn sehr. Von historischer Bedeutung war der Besuch der Kaiserin Maria Theresia in Eszterháza im September 1773, in dessen Verlauf sie die Marionettenoper Haydns "Philemon und Baucis" genießen konnte. Während dieses Besuches wurde Haydn der Monarchin formell vorgestellt.
1781-1790 MITTLERE ESTERHÁZY PERIODE
Am 14. Mai 1780 erhielt Haydn die erste große Auszeichnung aus dem Ausland: die Philharmonische Akademie in Modena ernannte Haydn zum Ehrenmitglied. Aus verschiedenen europäischen Ländern folgten Kompositionsaufträge. Aus der spanischen Stadt Cadiz stammte zum Beispiel die Bestellung der Orchesterkomposition "Die Sieben Worte des Erlösers am Kreuze". In Frankreich wurden Haydns Werke seit 1764 laufend verbreitet. Die "Pariser Symphonien" (Nr. 82-87) sowie die "Symphonien Nr. 88-92" verdanken ihre Entstehung Claude Francois-Marie Rigoley Comte d'Ogny (1757-1790), einer der Initiatoren der "Concerts de la Loge Olympique" und einer der führenden Freimaurer Frankreichs. Haydns Beziehungen zu England begannen 1782 intensiver zu werden, als erste Versuche unternommen wurden, ihn nach London einzuladen.
Haydns äußere Erscheinung ist von vielen Beschreibungen und einer großen Anzahl von Bildern und Büsten bekannt. Er war von der Gestalt "etwas unter der mittelmäßigen Größe (...) der Blick war sprechend, feurig, aber doch mäßig, gütig, einladend" (Dies). Im täglichen Leben besaß Haydn viele angenehme Eigenschaften, wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Verständnis gegenüber seinen Musikern. Ein besonderer Wesenszug seines Charakters war neben seiner "arglosen Schalkheit" seine große Ordnungsliebe, die ihn sein ganzes Leben lang auszeichnete. Als Mitglied des fürstlichen Hofes erwarb sich Haydn gesellschaftliche Umgangsformen: "... ich bin mit Kaisern, Königen, und vielen großen Herren umgegangen, und habe manches Schmeichelhafte von ihnen gehört...".
(Griesinger)
Im Dezember 1781 erteilte Haydn in Wien Maria Feodorowna von Rußland, der Gemahlin des Großfürsten und späteren Zaren Paul I., Musikunterricht. Die Quartette Opus 33, die kurze Zeit später gedruckt wurden, sind unter anderem dem Großfürsten gewidmet und tragen daher den Namen "Russische Quartette". Haydn übersandte Maria Feodorowna 1805 durch seinen ehemaligen Schüler Neukomm drei- und vierstimmige Gesänge, wofür er mit einem kostbaren Ring belohnt wurde.
Die Freimaurerbewegung, die während der Regierungszeit Kaiser Joseph II. (1780-1790) in den gebildeten Kreisen an Beliebtheit gewann, erweckte auch Haydns Interesse. Er wurde am 11. Februar 1785 Mitglied der Loge "Zur wahren Eintracht" am Abend nach Haydns Aufnahme fand in der Wohnung von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) ein Privatkonzert statt. Haydn hatte erstmals Gelegenheit, die ihm von Mozart gewidmeten neuen Streichquartette zu hören.
Seit dem Jahr 1780 stand Haydn im ständigen Briefwechsel mit dem Musikverlag Artaria in Wien. Die bei Artaria erschienen Klaviersonaten, Kammermusikstücke und Lieder waren die ersten Werke, die Haydn finanziellen Gewinn brachten; insgesamt erschienen rund 250 Kompositionen in diesem Verlag, obwohl sich bereits andere Verleger um die Werke Haydns bemühten: Breitkopf & Härtel in Leipzig, Boyer in Paris, Forster in London und Torricella in Wien. Haydn machte von den neuen Geschäftsverbindungen zunehmend Gebrauch, kam jedoch in Schwierigkeiten, da er aufgrund der großen Nachfrage nach seiner Musik nicht genug Kompositionen liefern konnte. Artaria war bis 1790 der Hauptverleger Haydns, und die Kontakte blieben auch später noch bestehen.
Die 29jährige italienische Sängerin Luigia Polzelli (1750-1832) und ihr betagter Gatte Antonio, ein Violinist, wurden 1779 in den Dienst des Fürsten Esterházy aufgenommen. Schon kurz nach ihrem Engagement sollten die beiden wieder gekündigt werden, doch konnte Haydn diese Entlassung offenbar verhindern. Luigia Polzelli blieb bis zum Tode des Fürsten Nikolaus im Jahre 1790 in Eszterháza - als Geliebte Joseph Haydns, wie zahlreiche Briefe belegen. Da Luigia keine auffallend schöne Stimme hatte, gestaltete Haydn ihre Einlagearien so günstig wie möglich. Als sich Haydn in London aufhielt, starb 1791 Luigias Ehemann, und sie ging zurück nach Italien. Sie sahen sich niemals wieder. Haydn ließ ihr wiederholt finanzielle Unterstützung zukommen und kümmerte sich nach seiner Rückkehr nach Wien um ihre beiden Söhne.
Im Juni 1789 erhielt Joseph Haydn einen Brief, der das Fundament zu einer in ihrem Charakter einzigartigen Freundschaft legte. Marianne von Genzinger (1750-1793), die Frau von Fürst Nikolaus' Wiener Leibarzt, sandte ihm einen Klavierauszug, den sie von einem Andante aus einer seiner Sinfonien angefertigt hatte. Mit der Bitte um Korrekturen und der geäußerten Hoffnung, Haydn bald in Wien zu sehen, begann ein langer Briefwechsel, der uns einen Einblick in Haydns Persönlichkeit eröffnet. Die Bewunderung der 23 Jahre jüngeren, feingebildeten Frau von Genzinger bewegte Haydn dazu, ihr seine innersten Gefühle zu offenbaren und vor allem sein Bedürfnis nach Verständnis für seine Einsamkeit in Eszterháza zu äußern.
Am 28. September 1790 starb Fürst Nikolaus I. der "Prachtliebende" - mit seinem Tode ging eine Epoche musikalischer Weltgeschichte zu Ende. Fürst Paul Anton II. (1738-1794), Sohn und Nachfolger Nikolaus I., war an Musik wenig interessiert und entließ innerhalb weniger Tage das Orchester und die Sänger. Nur Haydn und der Konzertmeister Luigi Tomasini blieben als einzige formell in fürstlichen Diensten. Mit einer jährlichen Pension von 1000 Gulden ausgestattet, führte Haydn weiterhin seinen Kapellmeistertitel, obwohl er keinerlei Verpflichtungen gegenüber Fürst Paul Anton mehr hatte. Das "Märchen von Eszterháza" war zu Ende. Für Joseph Haydn hatten sich in diesen drei Jahrzehnten außergewöhnliche Möglichkeiten eröffnet. Er übersiedelte nach Wien, sollte von dort aber schon sehr bald wieder aufbrechen.
1791-1795 LONDON REISEN
"Ich bin Salomon aus London und komme, Sie abzuholen; morgen werden wir einen Akkord schließen", so schilderte Haydn seinem Biographen Dies jenen entscheidenden Augenblick, der den Beginn seiner Englandreisen darstellte. Für die beträchtliche Summe von 5000 Gulden verpflichtete sich Haydn, eine italienische Oper, sechs neue Symphonien sowie 20 weitere Stücke zu komponieren und diese in Konzerten unter seiner eigenen Leitung aufzuführen. Johann Peter Salomon (1745-1815), ein berühmter Violinist und erfolgreicher Konzertmanager, benachrichtigte umgehend das englische Publikum von Haydns baldiger Ankunft. Auf Mozarts Bedenken, daß er nicht einmal Englisch spreche, erwiderte Haydn: "Meine Sprache versteht man durch die ganze Welt!" (Dies)
Am 1. Jänner 1791 betrat Joseph Haydn nach einer beschwerlichen Reise über München-Wallerstein-Bonn-Calais englischen Boden. Sieben Tage später schrieb Haydn an Marianne von Genzinger: "...meine anckunft verursachte grosses aufsehen durch die ganze stadt durch 3 Tag wurd ich in allen zeitungen herumgetragen: jederman ist begierig mich zu kennen." Großes Aufsehen erregte auch der Umstand, daß Haydn auf einem Hofball im St. James Palace vom Prinzen von Wales durch eine sichtbare Verbeugung begrüßt wurde. Die erste Konzertreihe begann am 11. März mit einem Konzert in den "Hanover Square Rooms" und wurde dann wöchentlich bis zum 3. Juni fortgesetzt. Diese Konzerte waren gesellschaftliche Ereignisse ersten Ranges und die Einladungen vornehmlich an die Aristokratie gerichtet.
In der Woche vom 23. Mai bis 1. Juni 1791 erlebte Haydn das alljährlich unter der Patronanz des Königs stattfindende "Händel-Fest" in der Westminster Abbey. Kein anderes Ereignis hat den Komponisten nachhaltiger beeindruckt, als diese gigantische Gedenkfeier, die den Höhepunkt des englischen Gesellschaftslebens darstellte. Haydn hörte zum ersten Mal unter anderem Händels Oratorien "Israel in Agypten", "Esther", "Saul" und als Krönung des Festivals den "Messias". Nach Abschluß einer überaus erfolgreichen ersten Konzertsaison wurde Haydn im Juli 1791 auf Vermittlung des Musikhistorikers Charles Burney (1726-1814) das Ehrendoktorat für Musik der Universität Oxford verliehen. Die feierliche Zeremonie dauerte drei Tage lang und fand im Sheldonian Theatre in Oxford statt.
Bis zum Beginn der nächsten Konzertserie lebte Joseph Haydn zurückgezogen und erteilte Rebecca Schroeter, einer reichen Witwe, Privatunterricht. Während seines ersten Englandaufenthaltes entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen Haydn und seiner Schülerin. Ihre Briefe, die Haydn in sein Notizbuch übertrug, dokumentieren Rebeccas leidenschaftliche Gefühle für den großen Komponisten: "Keine Sprache kann das nur zur Hälfte ausdrücken, was ich an Liebe und Zuneigung für Sie empfinde." Haydn war oft zu Gast bei Mrs. Schroeter, die mit äußerster Fürsorge um das seelische und leibliche Wohl des Meisters besorgt war. Während seines zweiten Aufenthaltes in London wohnte Haydn ganz in der Nähe der Schroeter - und widmete ihr in späteren Jahren als Zeichen seiner Verbundenheit seine "Trios op. 73".
Bereits im August 1791 hatte Fürst Paul Anton II. Esterházy den Wunsch geäußert, Haydn möge nach Eisenstadt zurückkehren. Haydn hatte jedoch noch vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen und verließ erst Ende Juni 1792 nach zwei erfolgreichen Konzertreihen die Britische Insel. Er reiste über Bonn, wo er den begabten, jungen Ludwig van Beethoven (1770-1827) kennenlernte, nach Wien zurück. Es wurde vereinbart, daß Beethoven zu Haydn nach Wien kommen sollte, um bei ihm Kontrapunkt und Harmonielehre zu studieren. Nach einigen Unterrichtsstunden kam es jedoch zum Bruch zwischen Lehrer und Schüler. Haydns Lieblingsschüler waren Ignaz Pleyel (1757-1831) und Sigismund Neukomm (1778-1858).
Im August 1793 unterzeichnete Haydn den Kaufvertrag für sein neues Haus in Gumpendorf bei Wien, das seine Frau bereits während seines Englandaufenthaltes ausfindig gemacht hatte. Joseph Haydn erwarb das ebenerdige Haus von dem bürgerlichen Webermeister Ignaz Weißgram und ließ es um ein Stockwerk erhöhen. Erst nach seiner zweiten Englandreise bezog er sein neues Haus und bewohnte es bis zu seinem Tode - seit März 1800 als Witwer. Bereits am 1. Juni 1840 wurde an dem Haus eine Marmortafel mit der Aufschrift "Zum Haydn" angebracht. Heute ist in diesem Haus das Wiener Haydn-Museum untergebracht.
Im Jänner 1794 reiste Haydn gemeinsam mit Johann Elßler (1769-1843), seinem Privatsekretär und Kammerdiener, zum zweiten Mal nach England. Die Konzertreihe des Frühjahrs 1794 war ein neuerlicher großer Erfolg - die "Militärsymphonie", die populärste aller seiner Symphonien zu Lebzeiten Haydns, wurde uraufgeführt. Haydn knüpfte während dieses Aufenthaltes weitere Kontakte mit englischen Verlegern. Die Liste aller Werke, die Haydn für seine beiden Londoner Aufenthalte komponiert hatte, wäre würdig, das Lebenswerk eines Komponisten darzustellen. Er schuf rund 250 Einzelwerke, darunter die Oper "Orfeo", die "12 Londoner Symphonien", über 200 Gesangsstücke und mehrere Streichquartette und Klavierwerke.
Am 1. Februar 1795 wurde Haydn die große Ehre zuteil, als einziger lebender Komponist in die Programme der "Ancient Concerts" aufgenommen zu werden. Nun fand er auch offiziell Einlaß in die Konzerte des englischen Königs Georg III. (1738-1820), dem er bei dieser Gelegenheit durch den Prinzen Georg von Wales (1762-1830) vorgestellt wurde. Im Frühjahr 1795 spielte, dirigierte und sang Joseph Haydn bei verschiedenen Gelegenheiten vor der königlichen Familie und in Konzerten, die der Prinz von Wales (ab 1820 König Georg IV.) im Carlton House veranstaltete. Der englische König und seine Gemahlin Charlotte versuchten Haydn zu überreden, länger in England zu bleiben und boten ihm eine Wohnung in Windsor an. Haydn zog jedoch zurück nach Österreich.
1796-1809 SPÄTE ESTERHÁZY PERIODE
Schon wenige Tage nach Haydns Abreise aus Wien im Januar 1794 war Fürst Paul Anton Esterházy gestorben. Sein Nachfolger, Nikolaus II. (1765-1833), hatte Haydn im Sommer mitgeteilt, daß er die Musikkapelle wieder aufzustellen beabsichtige, und da er Haydn weiterhin als seinen Kapellmeister betrachte, forderte er ihn auf, nach Eisenstadt zurückzukehren. Diese Nachricht hörte Haydn nicht ungern, da er unter Berücksichtigung aller Umstände nicht für immer in einem fremden Land bleiben wollte. In Österreich jedoch konnte er sicher sein, von der fürstlichen Pension und Fürsorge im Notfall unterstützt zu werden. Anfang September 1795 war Haydn, mittlerweile weltberühmt und wohlhabend, in Wien eingetroffen - und stand nun in den Diensten seines vierten Esterhazy-Fürsten, dessen Umgestaltung des Schlosses und des Parks in Eisenstadt bis heute unverändert erhalten geblieben ist.
Der vierte Esterházy-Fürst, in dessen Diensten Haydn nun stand, war ein passionierter Theaterliebhaber und Kunstsammler. Sein musikalisches Interesse beschränkte sich vor allem auf Kirchenmusik, und Haydns wichtigste Aufgabe war es daher, Messen zu komponieren. Von 1795 bis zu seinem Tod lebte Haydn in Gumpendorf bei Wien, abgesehen von den alljährlichen Sommeraufenthalten in Eisenstadt, wo er bis 1802 jeden September eine Messe für den Namenstag der Fürstin Maria Josepha Hermenegild (1768-1845) komponierte und in der Bergkirche leitete. Die Hochblüte an Haydns Chormusik ist an diesen Messen ebenso erkennbar wie an seinen späteren Oratorien.
Zu Beginn des Jahres 1797 komponierte Joseph Haydn mit "Gott erhalte Franz den Kaiser" eines seiner berühmtesten Stücke, das bis in unser Jahrhundert die österreichische Staatshymne war - und heute mit den Versen "Einigkeit und Recht und Freiheit" von Hoffmann von Fallersleben die deutsche Nationalhymne ist. Der Geburtstag des Kaisers Franz II. (1768-1835) sollte der Anlaß sein, das Lied erstmals vorzustellen. Am 12. Februar 1797 erklang diese volksliedartige einfache, klassisch schöne Melodie vor dem anwesenden Kaiserpaar im Wiener Burgtheater. Die neue Hymne war als Gegenstück zur französischen "Marseillaise" gedacht und sollte als "Volckslied" Ausdruck einer neuen patriotischen Begeisterung werden. Haydn verwendete später diese Melodie für den langsamen Variationssatz in seinem berühmten "Kaiserquartett op. 76".
"... ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder...", erzählte Haydn seinem Biographen Griesinger. Nach den monumentalen Händel-Konzerten, die Haydn in London gehört hatte, hatte er den Wunsch, ein Oratorium zu schreiben, das für alle Zuhörer ein moralisches und künstlerisches Erlebnis bedeuten sollte. Der bekannte Musikliebhaber Gottfried van Swieten (1730-1803) schrieb nach dem englischen Text von Lidley ein deutsches Textbuch. Die Uraufführung der "Schöpfung" fand am 30. April 1798 im Schwarzenberg-Palais am Neuen Markt in Wien vor einem erlesenen Publikum statt und war ein überwältigender Erfolg. Mit "Die Jahreszeiten" (Hob.XXI:3) schrieb Joseph Haydn 1801 sein letztes Oratorium.
An der Wende zum Jahre 1803 war der Zeitpunkt gekommen, an dem Haydn aufhörte zu komponieren. Auf Empfehlung seines Biographen Griesinger gab Haydn 1806 das unvollendete "Streichquartett op. 103" heraus: als zweisätziges "Lebewohl" gemeinsam mit seiner sogenannten "Visitenkarte" mit dem Text "Hin ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ich". Am 26. Dezember 1803 trat Haydn zum letzten Mal öffentlich auf, lehnte aber Reiseeinladungen und kompositorische Aufträge aller Art entschieden ab. In seinen letzten Jahren erhielt Haydn Besuche von prominenten Persönlichkeiten und wurde als Ehrenbürger der Stadt Wien zum gefeierten, "großen alten Mann", der von vielen bedeutenden Musikgesellschaften Europas mit Ehrendiplomen, Medaillen und Mitgliedschaften ausgezeichnet wurde.
Das letzte Mal erschien Haydn in der Öffentlichkeit, als anlässlich seines 76. Geburtstages am 27. März 1808 sein Oratorium "Die Schöpfung" in der Aula der Alten Universität Wien aufgeführt wurde. Dieses feierliche Konzert ist auf einer Aquarellminiatur von Balthasar Wigand erhalten. Fürst Nikolaus II. Esterházy sandte eine Kutsche, damit der greise Haydn komfortabel von seinem Haus in Gumpendorf in die Innere Stadt reisen konnte. Als Haydn von zwei Lakaien in einem Tragsessel in den Saal getragen wurde, erklangen festliche Trompetenfanfaren. Die Anwesenden riefen "Vivat Haydn"; und sein ehemaliger Schüler Ludwig van Beethoven küsste dem Meister zur Begrüßung die Hand. Die Aufführung, an der die gesamte Wiener Oberschicht teilnahm, wurde von Antonio Salieri (1750-1825) geleitet.
Joseph Haydn starb am 31. Mai 1809 während der Belagerung Wiens durch Napoleonische Truppen friedlich in seiner Wohnung in Gumpendorf. Am 1. Juni wurde er auf dem Hundsthurmer Friedhof beerdigt, und am folgenden Tag wurde ein Requiem in der Gumpendorfer Kirche zelebriert. Zwei Wochen später hielt man in der Schottenkirche in Wien einen großen Gedenkgottesdienst ab, zu dem Wiens elegante Welt erschienen war. Haydns sterbliche Überreste sind heute in einem Mausoleum, das Fürst Paul Esterházy 1932 in der Bergkirche in Eisenstadt errichten ließ, beigesetzt.