85
"La Reine"
B-Dur
Pariser Sinfonien, 1. Folge
Herausgeber: Hiroshi Nakano; Reihe I, Band 12; G. Henle Verlag München
Die Symphonien Hob.I:82-87
Bereits seit den späten 1760er Jahren war Joseph Haydn in Paris kein Unbekannter mehr. Paris zählte zu den Städten, in denen seine Instrumentalwerke regelmäßig gepflegt wurden. Viele der Symphonien Haydns waren bis in die Mitte der 1780er Jahre bei Pariser Verlegern in Druck erschienen.
1784 erteilte die neu gegründete Loge Olympique dem im fernen Eszterháza weilenden Komponisten den Auftrag, sechs “Grand Symphonies” für ihre Konzertveranstaltungen zu schreiben. Die sog. “Pariser Symphonien” (Nr. 82-87), die Joseph Haydn 1785-86 auf Bestellung des Veranstalters der Pariser Concerts de la Loge olympique, des Comte D'Ogny, schrieb, bilden nach den Esterházyschen “Tageszeiten”-Symphonien von 1761 (Nr. 6-8) die erste Symphonienfolge Haydns, die ausdrücklich als Zyklus konzipiert wurde, und repräsentieren darüber hinaus einen wichtigen Abschnitt in Haydns Aufstieg zu europäischem Format: Wenn man von den Symphonien Nr. 76-78 von 1782 absieht, die für einen nicht zustande gekommenen England-Aufenthalt Haydns gedacht waren, sind die “Pariser Symphonien” die ersten, die Haydn nicht für das Esterházysche Hoforchester verfasst hat. Hatte Haydn in Eszterháza im Schnitt etwa 22 Musiker, darunter 15 oder 16 Streicher, zur Verfügung, so wies das Pariser Orchester mehr als 40 Violinen, 10 Kontrabässe und vierfache Holzbläser auf, eine Orchestergröße also, wie sie auch heute jedem Theater- oder Orchestermusikveranstalter noch wohl ansteht. Auf die diesbezüglichen Überlegungen der Haydn Akademie, die sich an anderer Stelle des Programmheftes finden, darf hier nur verwiesen werden.
Auch in stilistischer Hinsicht markieren die “Pariser Symphonien” einen qualitativen Sprung in Haydns symphonischem Schaffen. Haydn hatte sich nun auf “internationalem Parkett” zu behaupten. Dem ist wohl die Diesseitigkeit und Extrovertiertheit dieses Werkzyklus zuzuschreiben, der sozusagen die noch heile Welt des französischen Hofs - es ist die Welt Marie Antoinettes - verkörpert.
Aus der Datierung der Autographe geht hervor, dass Nr. 83, Nr. 87 und wohl auch Nr. 85 noch im Jahr 1785, Nr. 82, Nr. 84 und Nr. 86 aber 1786 komponiert wurden.
Die Reihenfolge der “offiziellen” Zählung, die auf die Wiener Erstausgabe (Artaria 1887) zurückgeht, von der Alten Gesamtausgabe und vom
Hobokenverzeichnis übernommen wurde, ist nicht die von Haydn ursprünglich beabsichtigte. In seinem (mit Haydns unnachahmlicher Orthographie verfassten) Brief an das Wiener Verlagshaus Artaria vom 2. August 1787 machte er, nachdem er die Manuskripte zur Drucklegung abgesandt hatte, den Verleger ausdrücklich auf die korrekte Reihenfolge - an die dieser sich dann nicht hielt - aufmerksam: “Ich vergasse lezthin die Ordnung der[en] Symphonien anzuzeigen, und müssen solche folgenderarth gestochen werden: Die Sinfonia Ex A Numero 1. Ex b fa. Nro. 2. Ex g. Nro. 3. Ex Es. Nro. 4. Ex D. Nro. 5. Ex C. Nro. 6.”, d.h. in die gebräuchliche Zählung übersetzt: Nr. 87, 85, 83, 84, 86, 82.
Drei der “Pariser Symphonien” haben Beinamen erhalten, die an ihnen haften geblieben sind: Nr. 82, “L' Ours”, Nr. 83, “La Poule” und Nr. 85, “La Reine de France”.
Auch die nachfolgenden fünf Symphonien (Nr. 88-92) sind, als mehr oder weniger direkte Folge des ersten Auftrags, ursprünglich für Paris bestimmt. Nr. 88 und 89 wurden 1787 komponiert und gehören zu jenen Werken, die Joseph Haydn dem Esterházyschen Geiger Johann Tost auf dessen Reise nach Paris mitgab, damit dieser sich dort einen Namen mache, vor allem aber wohl auch, weil Haydn nach den “Pariser Symphonien” Nr. 82-87 das Interesse der Pariser für seine Kompositionen warm halten wollte. Nr. 90-91 sind von Haydn 1788/89 im Auftrag der Pariser Loge Olympique sozusagen als Nachbestellung der sechs “Pariser Symphonien” Nr. 82-87 geschrieben worden und sind dem ursprünglichen Auftraggeber, dem Comte d'Ogny, zugeeignet. Gleichzeitig hat Haydn, ein tüchtiger Geschäftsmann, diese Symphonien auch dem Fürsten Oettingen-Wallerstein verkauft, der ein glühender Haydn-Verehrer war und bei Haydn Symphonien in Auftrag gab. (Auf die Frage, warum der Fürst nur Kopisten-Abschriften erhalten habe, rechtfertigte sich Haydn, ein Augenleiden habe ihn daran gehindert, eine eigenhändige Reinschrift zu liefern.) Nr. 92, die berühmte “Oxford-Symphonie”, ist ursprünglich im Rahmen dieses Auftrags konzipiert, aber dann offenbar doch zu spät fertiggestellt worden. Sie wurde dann 1792 von Haydn für die Feier der Ehrendoktoratsverleihung in Oxford verwendet und bildet auf diese Weise das unmittelbare Bindeglied zu den nachfolgenden “Londoner Symphonien” (93-104), die den krönenden Abschluss von Haydns symphonischen Schaffen repräsentieren.
Hob.I:85 Symphonie in B-Dur „La Reine“
Mit dem Beinamen der Symphonie Nr. 85, die von Marie Antoinette besonders geschätzt worden sein soll, verbindet sich das Andenken an die französische Königin sogar ausdrücklich. Dieses Werk, das von Joseph Haydn selbst eigentlich als zweites der Sechserfolge vorgesehen war, stellt in zwei Punkten eine deutliche Hommage an das französische Publikum: Die langsame Einleitung des ersten Satzes ist mit ihren gravitätischen Punktierungen im Charakter einer Französischen Ouvertüre angelegt; den zierlichen Variationen des zweiten Satzes liegt als Thema das französische Volkslied “La gentille et jeune Lisette” zugrunde. Hinter dieser Fassade der offenen Komplimente an den französischen Geschmack bewährt sich Haydns hohe Kompositionskunst: Der erste Satz ist beinahe zur Gänze aus einem einzigen Thema, eine Folge von Viertelnoten, entwickelt (in der davon abgeleiteten Überleitungsphase der Exposition zitiert Haydn merkwürdigerweise den Beginn seiner berühmten “Abschiedssymphonie”); der Finalsatz ist eine höchst kunstvolle Verschränkung zwischen Rondo- und Sonatensatzform (der Mittelteil fungiert als “Durchführung”)
Analyse

Analyse der Sätze





Musiker

Musiker
Anders als etwa bei den Opern lassen sich bei den Sinfonien, auf Grund ihrer unklaren zeitlichen Zuordnung, vollständige Besetzungs- bzw. Namenslisten der Orchestermusiker nicht anführen. Und es ist überhaupt nur bei einer der drei „Sinfonie-Schaffens-Phasen“ möglich, nämlich der mittleren Phase, jener am Hofe der Esterházys (1761-1781 letzte Sinfonie für das Esterház-Publikum) respektive 1790). Bei der ersten Phase, im Dienste des Grafen Morzin, also vor Esterházy (1757-1761) und der dritten Phase, jener danach (1782-1795) ist es überhaupt nicht möglich. Im Übrigen lässt sich die dritte Phase wiederum in drei Abschnitte gliedern: Jenen, in dem Haydn erstmals für ein „anderes“ Publikum als seines am Hofe Esterház komponierte (1782-1784), den Pariser Sinfonien (1785-1786) und den Londoner Sinfonien bis (1791-1795).
Namens- bzw. Gehaltslisten – und aus jenen wurde die Orchesterbesetzung „extrahiert“ - existieren also nur aus der Schaffensphase im Dienst der beiden Fürsten Esterházy, also von 1761 bis 1782.
Daher werden „nur“ jene Musiker angeführt, die im Dienste der beiden Fürsten Esterházy standen und mit Sicherheit über einen längeren Zeitraum in Haydns Orchester wirkten, quasi ein „All-Time – All-Stars-Orchester“. Ich behielt bei den betreffenden Musikern die Jahreszahl „-1790“ bei, da mit Sicherheit Haydn auch nach 1782 seine Sinfonien am Hofe zu Gehör brachte.
Flöte | Franz Sigl 1761-1773 |
Flöte | Zacharias Hirsch 1777-1790 |
Oboe | Michael Kapfer 1761-1769 |
Oboe | Georg Kapfer 1761-1770 |
Oboe | Anton Mayer 1782-1790 |
Oboe | Joseph Czerwenka 1784-1790 |
Fagott | Johann Hinterberger 1761-1777 |
Fagott | Franz Czerwenka 1784-1790 |
Fagott | Joseph Steiner 1781-1790 |
Horn (spielte Violine) | Franz Pauer 1770-1790 |
Horn (spielte Violine) | Joseph Oliva 1770-1790 |
Pauke oder Fagott | Caspar Peczival 1773-1790 |
Violine | Luigi Tomasini 1761-1790 |
Violine (Stimmführer 2. Vl) | Johann Tost 1783-1788 |
Violine | Joseph Purgsteiner 1766-1790 |
Violine | Joseph Dietzl 1766-1790 |
Violine | Vito Ungricht 1777-1790 |
Violine (meist Viola) | Christian Specht 1777-1790 |
Violoncello | Anton Kraft 1779-1790 |
Violone | Carl Schieringer 1768-1790 |
Medien

Musik
Antal Dorati
Joseph Haydn
The Symphonies
Philharmonia Hungarica
33 CDs, aufgenommen 1970 bis 1974, herausgegeben 1996 Decca (Universal)




